hungrige milchkühe machen größere bissen.

hungrige milchkühe machen größere bissen.


landwirtschaft ist ein thema, das mich seit geraumer zeit schon und immer mehr beschäftigt. am dienstag habe ich bei einer herrlichen kulinarik-bio-landwirtschaft-crossover-veranstaltung wieder einiges über den boden dazugelernt. und das nicht von irgendwem, sondern von prof. winfried blum, einer internationalen boden-koryphäe. ich weiß jetzt zum beispiel neu, dass es dem bio-boden respektive den mikroorganismen in der humusschicht, die dafür verantwortlich sind, der pflanze die nährstoffe aufzuschließen, genau so geht wie mir: denen ist es in österreich mindestens ein halbes jahr lang zu kalt!

zur landwirtschaft gehört auch die tierische produktion, wie man so unschön sagt. und die ist mir eine der großen baustellen, weil ich, wie ihr jetzt eh schon alle wisst, sehr gerne fleisch esse, einen hohen milchkonsum habe und schlagobers in meinem leben nicht missen will. relativ gut informiert fühle ich mich in sachen fleisch. und da bin ich auch schon sehr glücklich, weil ich in den letzten eineinhalb jahren produzentInnen gefunden habe, von deren superheit ich mich mit hirn und herz überzeugt habe. milch ist noch ein ziemlich blinder fleck. den gehe ich jetzt also an.

am 26. september war die 20. tagung des freiland-verbands. den gibt’s seit 1987, und der war maßgeblich an der etablierung von tierhaltungsstandards im bio-bereich in österreich beteiligt. die tagung stand unter dem motto “die freiheit nutztiere gut zu halten“. leider war ich aus toskanischen weingründen nicht bei der veranstaltung, aber gestern habe ich den tagungsband durchgeackert. und ich sage euch, liebe mit-konsumentinnen und -konsumenten, wir haben so was von keiner vorstellung, was in der landwirtschaftlichen produktion alles passiert!

ganz besonders fasziniert hat mich prof. knaus’ (boku, department für nachhaltige agrarsysteme) beitrag mit dem titel “ist weidefütterung besser als stallfütterung?“. ich dachte bei der überschrift, dass das ja wohl eine sehr einfache frage wäre. natürlich ist weide besser als stall! weil auf der weide haben’s die kühe schöner, und weide ist besser für die klauen und fürs immunsystem und fürs tiergerechte verhalten und und und. auf der weide können kühe ihre genialität im hinblick auf unsere mensch-kuh-“symbiose” voll ausschöpfen: sie können gras verwerten, das für uns unverdaulich ist, und daraus für uns hochwertige lebensmittel machen (milch) oder sein (fleisch)! und nachhaltiger ist weidehaltung sowieso! so weit, so klar. dachte ich. dann las ich den ganzen text.

36 prozent der festlandoberfläche der erde sind landwirtschaftlich nutzbar, zwei drittel davon als weide-, ein drittel als ackerland. kühe wären aus den genannten gründen besonders super für die weidehaltung. bei milchkühen gibt es weltweit aus verschiedensten gründen allerdings die tendenz, sie das ganze jahr über im stall zu halten und ihnen (auch) kraftfutter zu geben. so viel, dass es dem kühlichen organismus mitunter zu viel wird; “bis an die grenzen des für den verdauungstrakt und die stoffwechselprozesse tragbaren”, schreibt prof. knaus. warum man das tut? weil sie mit kraftfutter mehr milch geben. der grund, warum weidende kühe die milchleistung der kraftfutter-kühe nicht schaffen, ist, dass sie es schlicht nicht derfressen. gras hat weniger kalorien als kraftfutter, zudem bewegen sich die kühe auf der weide natürlich mehr. (die schweizer gewinnerin des kuhmaratons, initiiert von bio suisse, brauchte zehn tage für die marathondistanz, d. h. sie geht pro tag im schnitt gut vier kilometer.) gut, sagte mein hirn beim lesen, dann fressen sie halt weniger kalorien und geben sie weniger milch! dann konsumieren wir einfach weniger, damit die kühe auf der weide stehen und glücklich sein können! aber so einfach ist das wieder auch nicht, lernte ich beim weiterlesen. denn die kühe, die als milchkühe im einsatz sind, sind hochleistungskühe. und hochleistungskühe sind gezüchtet, viel milch zu geben. stehen die jetzt auschließlich auf der weide, ohne kraftfutter, dann sind sie permanent hungrig. und dass hungrig-sein mit glücklich-sein nicht vereinbar ist, weiß ich aus eigener erfahrung. dennoch ist aus gesundheitlicher sicht die weidehaltung besser: “eine aufgrund von weidefütterung niedrigere milchleistung deutet nicht automatisch auf ein eingeschränktes wohlbefinden hin”. weidehaltung heißt übrigens nicht automatisch, dass sie nur auf der weide stehen, es gibt ja auch weide-stallhaltungsmischformen. lässt man kühe übrigens frei entscheiden, bevorzugen sie in der nacht die weide, und tagsüber den stall, insbesondere dann, wenn’s heiß ist. das taten sie zumindest in zwei studien im jahr 2009.

apropos studien. das hat mich auch sehr fasziniert: was in der landwirtschaftlichen forschung alles untersucht wird! da stellt man us-amerikanische holstein-kühe, die es gewohnt sind, im stall kraftfutter zu fressen, auf die weide, und neuseeländische holstein-kühe, die normalerweise weiden, in den kraftfutter-stall und vergleicht ihre milchleistung. da schaut man sich an, wie man eine weide managen muss, damit die kühe möglichst viel fressen (weil: je großer die fraß-, desto größer die milchleistung). und um herauszufinden, wie viel sie fressen, erhebt man die grasedauer (minuten/tag), die bissrate (anzahl der bissen/minute) und die bissgröße (gramm trockenmasse/bissen) (sic!). der entscheidende faktor ist, wer’s noch nicht gewusst hat, übrigens die bissgröße.

ich bin also fasziniert und wieder einmal überfordert. es liegt mir fern, zu bewerten, ich kann’s auch gar nicht, weil ich nicht ausreichendes landwirtschaftliches wissen dazu habe. die einzige wertung, die ich vornehme, ist, zu sagen, dass ich haltungsformen schlecht finde, die schlecht fürs tier sind. was aber gut oder schlecht für die milchkühe ist, dazu habe ich erst wieder keine abschließende meinung. aber es war einmal mehr sehr interessant, zu sehen, dass die welt weder schwarz noch weiß ist, auch nicht die der kühe. was das jetzt für mich und meinen milchkonsum bedeutet, weiß ich noch nicht.

[bitte um entschuldigung für die unpassende bildwahl. ich habe noch kein foto von glücklichen weidemilchkühen, deshalb müssen die glücklichen freilandhendln einspringen.]

quellenangaben:
geßl r. (hrsg.) 20. freiland-tagung. die freiheit nutztiere gut zu halten. eigenverlag, wien, 2013.
knaus w. ist weidefütterung besser als stallfütterung? im genannten tagungsband, s. 27–40.