ich wollt’, ich wär’ ein hahn!

ich wollt’, ich wär’ ein hahn!


Zweinutzungsrassen. So nennt man bei den Hühnern jene Rassen, die sowohl eine passable Legeleistung als auch einen ordentlichen Fleischansatz haben. Sie waren die Vergangenheit und könnten die Zukunft sein. Hoffentlich.

[der text ist kürzlich in der ernährung heute 3/2013, einem fachmagazin des forum. ernährung heute – verein zur förderung von ernährungskommunikation, erschienen.]

(Begriffsdefinition: In diesem Beitrag stehen die Begriffe Henne für die weiblichen, Hahn für die männlichen und Huhn für Tiere beiderlei Geschlechts von Gallus domesticus, dem Haushuhn.)

Erfolgsgeschichte Freilandhaltung
Eier sind Lebensmittel, bei denen die Konsumenten besonders sensibel reagieren. Schon sehr früh sensibel reagiert haben. Vor 25 Jahren gab es die ersten Anläufe, Freilandeier in großem Maßstab zu produzieren. „30.000 könnten österreichweit als Freilandhendl gehalten werden, prognostizierte man damals“, berichtet Helmut Dungler, Gründer und Präsident der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. Sie bräuchten zu viel Platz, seien zu teuer, waren die Hauptargumente dagegen. „Heute leben in Österreich eine Million Freilandhendln, das ist ein Viertel des gesamten Bestandes.“
Der Erfolg der Freilandeier ist eine Vorzeigegeschichte für mündiges Konsument-Sein und das Lobbying einschlägiger Organisationen. Als die ersten Supermarktketten in den 1980er-Jahren begannen, Käfigeier auszulisten, befürchteten sie Umsatzeinbußen. Zu Unrecht. Der Imagegewinn überwog deutlich, und als 2008 in Österreich das Verbot gesetzlich verankert wurde, waren bereits alle österreichischen Supermärkte freiwillig käfigeifrei. Heute gehören Eier zu den am häufigsten nachgefragten Bio-Produkten.

Routinemäßiges Kükentöten
Doch mit der Freilandhaltung ist ein Problem noch nicht gelöst, auch nicht im Bio-Bereich: Für jede Legehenne hat ein ein Hahn sein Leben gelassen. Da ähnlich wie beim menschlichen Nachwuchs das Geschlechterverhältnis ausgewogen ist, schlüpfen aus befruchteten Eiern jeweils zur Hälfte weibliche und männliche Küken. Das ist bei Fleischhühnern kein Problem, weil männliche wie weibliche gemästet werden. Da sie lange vor der Geschlechtsreife geschlachtet werden, bilden sie keinen geschlechtsspezifischen Geschmack aus. Anders bei den Hühnern, deren Bestimmung Eierlegen ist: Naturgemäß können das nur die Weibchen. Für die männlichen Legehuhnküken gibt es keine Verwendung, weshalb sie kurz nach dem Schlüpfen getötet werden. Dass das routinemäßig bei Freiland- und auch bei Bio-Hühnern geschieht, bereitet zunehmend Unbehagen. Zwei große österreichische Anbieter haben darauf reagiert: Ja! Natürlich und Toni Hubmann.

Erstes Umdenken
Warum man die männlichen Legehühner nicht einfach am Leben lässt und mästet, beantwortet Toni Hubmann in seiner saloppen Art zu reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: „Einen Hahn von einer Legerasse kannst nicht essen!“ Legerassen sind auf maximale Legeleistung hin gezüchtet, Fleischrassen auf maximalen Fleischansatz. Weltweit sind einige wenige Hybridrassen im Einsatz, die mit höchster Effizienz ihre jeweilige Bestimmung erfüllen. Die Bedürfnisse der Tiere stehen dabei nicht im Vordergrund.
Früher war, nein, nicht alles besser, aber in Sachen Hühner einiges anders: Da tummelten sich auf dem Bauernhof Hennen und Hähne derselben Rasse. Die Hennen legten Eier, und wenn sie ihre Schuldigkeit getan hatten, wanderten sie in den Suppentopf. Die Hähne durften sich entweder um die Hennen kümmern (wenige) oder wurden gemästet und geschlachtet (die meisten). Dieses naheliegende Prinzip der so genannten Zweinutzungsrasse wurde von Ja! Natürlich und Toni Hubmann 2012 aufgegriffen.

Zweinutzungsrassen
Beide starteten jeweils Pilotprojekte mit einigen tausend Tieren. Dabei kommen nicht alte Rassen zum Einsatz, sondern neue Züchtungen, die die Zweinutzungsvorzüge mit erhöhter Leistung kombinieren. Beide Projekte dürften dieselben oder zumindest sehr ähnliche Rassen verwenden, bei beiden fällt jedenfalls der Name des bayrischen Züchters Ludwig Hölzl. Die Tiere vermehren sich nicht am Hof, sondern werden als Küken zugekauft.
Die „neue“ Zweinutzungsrasse ist ein bunter Haufen: Hauptsächlich weiße, aber auch schwarze, braune und gemusterte Hennen und Hähne staksen bei Toni Hubmann in Glein in der Steiermark im Freigehege herum. Er erklärt, dass sie eine Kreuzung aus vier Linien seien, darunter eine Legerasse, das in Frankreich kulinarisch sehr geschätzte schneeweiße Bressehuhn, aber auch ein „indischer Kämpfer“. Die Hennen sind klein und gedrungen, die Hähne hingegen hochgewachsen. Das merkt man auch beim Verkosten: Die Haxerl sind deutlich länger und massiver als jene, die man herkömmlich auf dem Teller liegen hat. Die Legeleistung der Hennen ist laut Hubmann mit 250 Stück pro Jahr etwas geringer als die herkömmlicher Legerassen (300 – 315), liegt aber deutlich über jener vor rund 50 Jahren (180). Interessanterweise entspricht sie fast exakt dem österreichischen Pro-Kopf-Jahreskonsum (232). Die Eier sind auch etwas kleiner, was in Kombination mit der geringeren Legeleistung dem Wohlbefinden der Hennen sehr zuträglich ist. Beide Anbieter sind bio-zertifiziert, die Hähne und Hennen haben verordnungskonform mehr Platz als in der konventionellen Haltung, Zugang zu Freiland und erhalten ausschließlich Bio-Futter.

Der kulinarische Aspekt
Die Brüder der Legehennen werden gemästet. Da es sich bei der Zweinutzungszüchtung um eine langsam wachsende Rasse handelt, rund drei Mal länger als in der konventionellen Geflügelmast. Bei Toni Hubmann sogar durchschnittlich 100 Tage. Das hat auch kulinarische Gründe. Langsam und länger wachsende Hähne schmecken einfach besser, ist er überzeugt. Früher habe man sie hierzulande geschätzt, in Frankreich mache man das auch heute noch. Mit der modernen Hochleistungsgeflügelmast habe es sich aber eingebürgert, nur fünf Wochen alte Hühner zu essen – und damit auch auf viel Geschmack zu verzichten. Anders gesagt: „Der Franzos’ isst die, weil sie gut sind. Der ist kein Tierschützer!“ Geschlachtet werden sie auf herkömmliche Art: auf einem Schlachthof, maschinell, kopfüber hängend, durch rotierende Messer nach vorheriger Betäubung. Hubmann vermarktet die Masttiere als „Junghähne“, sie müssen mindestens 90 Tage alt sein, sind dann aber noch nicht geschlechtsreif. Das hat den Vorteil, dass sie in diesem Alter noch friedlich nebeneinander leben, ohne sich zu bekämpfen. Die jungen Hähne bringen ein stattliches Schlachtgewicht von 1,8 – 3 kg auf die Waage. Ihr Fleisch ist dunkler, dichter und aromatischer als herkömmliches Hühnerfleisch, ähnlich wie Feldhase im Vergleich zu Kaninchen. Überhaupt erinnert es ein wenig an Wild, vor allem das Fleisch an den Knochen. Da die meisten Konsumenten keine Erfahrung mit der Zubereitung von Junghähnen haben (siehe auch Kochtipp am Ende), denkt Toni Hubmann bereits daran, künftig auch Kochkurse anzubieten.

Hürden: Preis, Verfügbarkeit, Sensibilisierung
Die Zweinutzungsrassen-Eier sind etwas teurer als konventionelle, aber das war wie erwähnt schon einmal kein Problem. Viele Konsumenten entscheiden sich längst bewusst für höherpreisige Freilandeier. Junghähne hingegen sind empfindlich teurer als konventionelle Masthühner und immer noch teurer als biologische, da sie ja wesentlich länger gemästet werden. € 20 pro kg kosten die von Toni Hubmann, erhältlich sind sie einstweilen ausschließlich im Ganzen. Und da sie wie erwähnt 1,8 – 3 kg wiegen, kommt man auf € 36 – 60 für ein Tier. Damit sich die Konsumenten dennoch für Zweinutzungsrassen-Eier und -Masthähne entscheiden, gilt es, zwei Voraussetzungen zu schaffen: Erstens müssen sie um die Problematik der getöteten männlichen Küken wissen, vor allem um den Zusammenhang zwischen Eikonsum und Fleischkonsum. Grundsätzlich ist es eine einfache Milchmädchenrechnung: Eine Henne ist zirka ein Jahr im Einsatz und legt ungefähr so viele Eier, wie wir pro Kopf konsumieren. Damit müssten Herr und Frau Durchschnittsösterreicher einen Junghahn pro Jahr verzehren, damit das Henne-Hahn-Verhältnis ausgewogen sein kann. Zweitens müssen die Produkte verfügbar sein. Es gibt sie längst noch nicht flächendeckend (siehe auch Tipp unten), und Ja! Natürlich schreibt auf der Website, dass die „limitierten Mengen schnell vergriffen“ sind. Für die Junghähne von Toni Hubmann gibt es derzeit nur drei bis vier Schlachttermine pro Jahr. Um sie dennoch laufend anbieten zu können, sind sie hauptsächlich tiefgekühlt erhältlich.

Fazit
Pure Bauernhofidylle à la anno dazumal herrscht auch bei den Zweinutzungsrassen-Hühner-Projekten nicht. Manch’ Kritiker wirft sogar ein, dass es für die Hähne wenig Unterschied mache, ob sie als Küken oder als Junghahn getötet werden. Aber Bauernhofidylle ist Romantik, die heutigen Anforderungen nicht gerecht wird, und moderne Nutztierhaltung ist nicht per se schlecht. Die vorgestellten Projekte machen es sehr gut, sie haben einen entscheidenden Vorteil, der sie auch Freiland- und Bio-Haltung überlegen macht: Sie degradieren Hühner und Eier nicht zu Produkten, die sich in beliebiger Menge und Qualität herstellen lassen, sondern rücken das Tier noch weiter in den Vordergrund. Nicht umsonst arbeiten beide Projekte mit Vier Pfoten zusammen. Zweinutzungsrassen-Hühner zu halten, ist ethisch besser, „ganzheitlicher“, wenn man so will. Das ist gut, und deshalb ist es sehr erfreulich, dass es die Pionier-Projekte gibt. Ihr Erfolg, die Ausweitung des Konzeptes und damit auch der Verfügbarkeit der Produkte liegt nun entscheidend in unseren Händen als Konsumenten.

Tipps:
Projekte und Erhältlichkeit: Ja! Natürlich nennt sein Projekt „Haushuhn & Gockelhahn“ und vermarktet die Zweinutzungsrasseneier als „Bio-Eier, mit Liebe gemacht“ in allen Merkur- und in 60 Billa-Filialen, die Gockel gibt es, abhängig von den Schlachtterminen, als Frischware in allen Merkur-Filialen. Toni Hubmanns Projekt heißt „Henne & Hahn“, Eier und Junghähne gibt es in gut 80 Billa-Filialen, bei Meinl am Graben und ab Hof.

Kochtipp von Toni Hubmann: Bereitet man seinen ersten Junghahn/Gockel zu, brät man ihn am besten im Ganzen und würzt ihn nur mit Salz, um sich seinem Eigengeschmack am besten zu nähern. Bei weiteren Gelegenheiten ist man mit Rezepten aus alten Kochbüchern und/oder französischen Zubereitungsarten bestens bedient, zum Beispiel dem Klassiker Coq au vin (Coq heißt übrigens Hahn, nicht Huhn).