der schlachthof: das tor zum himmel

der schlachthof: das tor zum himmel


Best Of Austria. So unbescheiden vermarkten Dani Wintereder und Fred Zehetner das Rindfleisch ihrer BOA-Farm. Was man zu sehen bekommt, wenn man sie besucht, könnte tatsächlich der Rinder-Himmel auf Erden sein.

[der text ist in der ernährung heute 2/2013, einem fachmagazin des forum. ernährung heute – verein zur förderung von ernährungskommunikation, erschienen.
blog-exklusiv sind die fotos. dazu achtung! sie sind teilweise blutig.
und da die boa-farm für mich ein absoluter rinder-vorzeigebetrieb ist, soll der text auch in die tierfreitag-sammelstelle.
an dieser stelle vielen herzlichen dank an dani und fred für den herzlichen empfang, die tollen einblicke und einen aufregenden tag auf eurer farm!]

Donnerstag, 23. Mai 2013, 8:15 Uhr. Wir biegen in eine Schotterstraße ein, sind auf dem Weg nach Mitterhof, Gemeinde Wildendürnbach, nördlichstes Weinviertel. Fuchs und Hase sagen einander hier gute Nacht. Und zwar nicht nur sprichwörtlich: Hasen hoppeln links und rechts der Straße, hier tauchen Rehe auf, dort ein Fasan. Und nach gut einem Kilometer endlich auch die Rinder. Deretwegen sind wir hier. Auf der BOA-Farm von Dani Wintereder und Fred Zehetner.

 BOA: Best Of Austria
„Best Of Austria Beef – mehr als nur Bio-Rindfleisch“, steht auf der Website. Da hat sich jemand die Latte sehr hoch gelegt! Wir wollen wissen, wie hoch. Fred Zehetner begrüßt uns mit einem kräftigen Händedruck. „Ihr wollt uns also heute beim Schlachten helfen? Na, dann suchen wir einmal Gummistiefel für euch!“ Wir trinken dann doch zuerst einmal einen Kaffee und bereiten uns geistig vor. Plaudernd sitzen wir am großen Esstisch im ehemaligen Stadl, durch die großen Fenster beobachten wir die Rinder auf der Weide. „So haben wir uns das immer vorgestellt“ fängt der Hausherr an zu erzählen. Es dauert keine fünf Minuten, um die Leidenschaft zu erkennen, mit der Fred Zehetner und Dani Wintereder ihren Beruf leben.

Kompromisslos und ein bisschen verrückt
Vor über 20 Jahren legte der Oberösterreicher den Grundstein für den Betrieb. Der gelernte Fleischer übernahm als 21-Jähriger die Fleischerei mit 25 Angestellten von seinem Vater. Nach einem Jahr übergab er sie seiner Schwester und ging in eine Landwirtschaftsschule. „Ich wollte immer Bauer werden!“ Nach einem Jahr stieg er aber auch dort aus, weil er nicht lernte, was er wissen wollte. Es folgte ein Abstecher auf die Universität, Sportwissenschaften und Pädagogik, daneben arbeitete er in einer Fleischerei für Großkunden. Und startete endlich das Bauer-Sein: mit drei Galloway-Kühen und einem Stier, die er zunächst bei einem befreundeten Bauern eingestellt hatte, wo sie allerdings nicht lange bleiben konnten. Und dann war er das erste Mal zur rechten Zeit am rechten Ort. Eines ergab das Andere, und binnen zwei Wochen hatte er 14 ha Grund in der Nähe von Salzburg gepachtet, das Studium aufgegeben und war endlich „richtiger“ Bauer. 1993 folgte die Bio-Zertifizierung. Damals war der Betrieb ein reiner Zuchtbetrieb.
Vor 15 Jahren stieß Dani Wintereder dazu. Sie ist ausgebildete Landwirtin, hat die HBLA für Land- und Ernährungswirtschaft Elmberg absolviert und sich in zahlreichen Praktika in Schottland, den USA und vor allem Kanada „bei den besten Lehrern“ umfangreiches Wissen über Galloway- und Aberdeen Angus-Rinder angeeignet.
Ins Weinviertel verschlug es die beiden 2003. Das war einerseits gewollt, denn dort, wo sie jetzt sind, ist es trocken und es gibt jede Menge Stroh – optimale Bedingungen für ihre Rinderzucht. Andererseits waren sie einmal mehr zur rechten Zeit am rechten Ort: Ein Adeliger verpachtete ihnen 300 ha Fläche, weil, so erzählt Fred Zehetner mit schelmischem Grinsen, er meinte, ihre Idee wäre so verrückt, dass sie funktionieren könnte. Und sie funktionierte: 2006 kauften sie das Land, heute stehen rund 650 Rinder auf den Weiden an der Grenze zur Tschechien. 2008 wurde das „Kuhhotel“ eröffnet, die Stallungen, in denen die Tiere den Winter verbringen. Im Dezember 2012 ging schließlich der farmeigene Schlachthof in Betrieb.

Galloway und Aberdeen Angus
Mit Galloway-Rindern fing alles an, seit 2003 wächst die Aberdeen Angus-Herde – natürlich aus guten Gründen: Beide Rassen kommen aus dem angloamerikanischen Raum, sind Fleischrassen mit hervorragender Qualität und von Natur aus hornlos, weshalb das umstrittene Thema Enthornung gar nicht erst diskutiert werden muss. Galloways sind extrem robust, hervorragende Futterverwerter und äußerst friedlich, das prädestiniert sie für die Weide- und Mutterkuhhaltung. Sie haben ein doppeltes Haarkleid, das sich optisch als schafähnlich äußert, allerdings rötlich braun. Aberdeen Angus hingegen sind schwarz und glänzend. Beim Züchten wird scharf selektiert, besonderes Augenmerk legen die Wintereder-Zehetners auf „Leichtkalbigkeit“: Das ist der Grund, weshalb in 99 % der Fälle die Kühe ihre Kälber ohne menschliche Hilfe zur Welt bringen. Nachwuchs entsteht teilweise auf natürlichem Weg, teilweise durch künstliche Befruchtung. Letzteres ist nötig, um regelmäßig neues Genmaterial in die Herde einzubringen. Männliche Kälber mit Bestimmung Fleisch werden im Alter von einem Monat unter Betäubung kastriert, weshalb das BOA-Beef ausschließlich von Ochsen und Kalbinnen stammt.

Die Philosophie: „Das Glück der Tiere isst man mit.“
Das Angebot der BOA-Farm umfasst heute Zuchtrinder sowie Frischfleisch vom Rind. Darüber hinaus gibt es Hundefutter aus den Resten der Fleischverarbeitung und seit kurzem Schweinefleisch – übrigens dieselben Rassen wie am Labonca-Biohof (siehe eh 4/2012), und das ist kein Zufall, sondern die Folge eines Erfahrungsaustauschs zwischen den beiden Landwirten.
Hinsichtlich der Qualität herrscht Kompromisslosigkeit: Sowohl die Zuchttiere, als auch das Fleisch müssen den Qualitätsstandards der Wintereder-Zehetners gerecht werden. Und die gehen weit über gesetzliche Vorgaben, wie die Bio-Verordnung, hinaus. Dass der Betrieb biologisch wirtschaften muss, war für Fred Zehetner von Anfang an keine Überlegung, sondern logische Konsequenz: Ackerbau braucht Dung, also Viehhaltung, und die Viecher brauchen Futter – Kreislaufwirtschaft, wie sie im Buche steht, wird auf der BOA-Farm praktiziert, zum Teil in Kooperation mit dem Hofnachbarn. Was die Philosophie der BOA-Farm aber am stärksten auszeichnet, ist der Respekt gegenüber den Tieren. Ihr Wohlbefinden steht im Zentrum. Deshalb leben und fressen die Rinder drei Jahreszeiten ausschließlich auf der Weide, mit Flächen von 0,5 ha pro Tier. Den Winter verbringen sie im „Kuhhotel“ genannten Stall, einem teilweise überdachten Areal mit reichlich Stroh-Einstreu, auf dem jedem Tier fast 40 m² zur Verfügung stehen. In dieser Zeit fressen sie Heu, Grassilagen und Stroh. Getreide, Mais oder Soja stehen nie auf dem Speiseplan. Deshalb leben die Kälber in Mutterkuhhaltung und trinken mindestens acht Monate lang Muttermilch. Deshalb wird stressfrei geschlachtet. Und deshalb erhielt die BOA-Farm 2012 den Bundestierschutzpreis von Gesundheitsminister Stöger.
Der Respekt gegenüber den Tieren geht so weit, dass die Wintereder-Zehetners zunehmend auf die Vermarktung von Fleisch statt den Verkauf von Zuchttieren setzen. Letztere landen nämlich nicht immer in Bedingungen, wie die BOA-Farmer sie gerne hätten. Auf ihrem eigenen Betrieb könnten sie ihnen dagegen optimale Gegebenheiten bieten. Deshalb sei es ihnen am liebsten, die Tiere blieben von der Geburt bis zum Tod bei ihnen. Einen eigenen Schlachthof zu errichten, war da wieder nur eine logische Konsequenz.
Der Erfolg scheint ihnen übrigens Recht zu geben. Inserate hätten sie nie geschaltet – „das Produkt muss die Werbung sein, nicht das Hochglanzprospekt!“ – doch mittlerweile sind sie der größte Zuchtbetrieb Österreichs, verkaufen ihre Zuchttiere europaweit, Rindersamen sogar in alle Welt.

Stressfreies Schlachten und hohe Fleischqualität
Wir haben mittlerweile die Gummistiefel an und befinden uns im Schlachthof. Wobei „Schlachthof“ ein viel zu großes Bild suggeriert. Es ist eher ein Schlachthaus in der Dimension eines kleinen Bungalows, in dem Fred Zehetner und sein Fleischerei-Mitarbeiter üblicherweise ein bis drei, maximal jedoch fünf Tiere pro Woche schlachten. „BOAs Gate Heaven“ nennen sie das Gebäude ihrer Diktion treu bleibend. Den Tötungsprozess haben wir miterlebt, und wir können jetzt nachvollziehen, warum sie das Schlachten als „stressfrei“ bezeichnen: Das Tier wirkt bis zum Betäubungsschuss vollkommen entspannt. Den Todesstoß, also das Durchschneiden der Halsschlagader, spürt es nicht. Auch nicht das Ausbluten. Der Fleischermeister gibt dem Tier Zeit. „Wir lassen es aushauchen.“
Dafür geht danach alles schnell: Zuerst bindet er die Speiseröhre ab, damit der Reflux aus dem Magen nicht das Fleisch kontaminiert. Dann beginnt er, dem Tier das Fell abzuziehen. Das wird später abgeholt und zu Leder verarbeitet. Wir können gar nicht so schnell schauen, haben wir Messer in der Hand und die Anweisung, mit dem Häuten weiterzumachen, dabei aber auf keinen Fall die Fettschicht zu verletzen, die während des Reifens das Fleisch schützt.
Apropos Reifen. Auf der BOA-Farm ist man nicht nur kompromisslos in Sachen Respekt gegenüber dem Tier, sondern auch in Sachen Fleischqualität. Aberdeen Angus und und Galloways sind bekannt dafür, zartes, gut marmoriertes, schmackhaftes Fleisch zu haben. Die Haltung und Schlachtung tragen das Ihre zur herausragenden Qualität bei: Die Tiere werden im Alter von zirka zwei Jahren geschlachtet, nicht wir herkömmlich mit 17–19 Monaten, da die Geschmacksbildung erst ab 18 Monaten erfolge, erläutert Fred Zehetner. Mais und Getreide verfüttere er auch deshalb nicht, weil das geschmackloses Fleisch ergebe, im Gegensatz zu dem aromatischen, das Gras und Kräuter fressende Weiderinder ausbilden. Das entspannte Schlachten sei überhaupt der Knackpunkt: „Wenn das Tier beim Schlachten Stress hat, machst du dir die ganze zu Lebzeiten aufgebaute Qualität zunichte.“ Dass die BOA-Farm ausschließlich gereiftes, gut abgehangenes Fleisch verlässt, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Vielleicht noch das: Der Fleischermeister lagert die Rinderhälften im so genannten Tender-Stretch-Verfahren, eine spezielle Art der Aufhängung der Schlachtkörper, die das Fleisch zarter macht, aber mehr Platz benötigt, weshalb es in industriellen Schlachthöfen nicht angewendet wird.
Zu Fred Zehetners und Dani Wintereders Verständnis von Qualität gehört auch die Vermarktung. In fünf Radatz-Filialen in Wien gibt’s BOA-Beef zu kaufen, einige Restaurants servieren es, sonst bekommt man es ausschließlich ab Hof zu bestimmten Terminen (Infos auf www.galloway.at, Menüpunkt „Genuss“). Auch das hat natürlich einen Grund: Nähe zum Kunden und Zeit. Wer auf die BOA-Farm einkaufen kommt, sollte letzteres mitbringen. Für ersteres sorgen der Herr und die Frau des Hauses: Verkauft wird hier nicht über eine Theke, sondern an einem Tisch, einem großen Holztisch, der normalerweise als Esstisch dient. Dazu gibt es Tipps und Geschichten. Definitiv Slow Food!

Wirtschaftlich rentabel
Dass sie zunehmend Fleisch statt Zuchttiere verkaufen, hat auch ökonomische Gründe. Während es in den USA gang und gäbe sei, dass ein guter Deckstier eine stattliche Summe kostet, sehe man das hierzulande ganz anders, erläutert Dani Wintereder. Da die Schlachtung und Zerlegung der Rinder am Betrieb stattfindet, die Wertschöpfung also im Haus bleibt, lässt sich mit dem Fleischverkauf ausreichend verdienen. Selbstverständlich bei entsprechenden Preisen: € 60 pro kg kostet beispielsweise das Filet, € 28 der Tafelspitz, € 18 das Gulaschfleisch und € 9 das Faschierte, alle Preise ab Hof. Auch hier zeigt sich Fred Zehetner kompromisslos. Einkommen will er über beste Qualität erzielen, nicht über die Menge. „Wenn du mit dem Preis hinaufgehst, regelt sich der Markt von selber.“
Der Betrieb scheint gut zu laufen. Möglicherweise auch deshalb, weil die Wintereder-Zehetners sich dem Wachstumsdiktat bewusst verweigern. Das demonstrieren schon die baulichen Gegebenheiten. „Wir haben das Schlachthaus hier hereingezwickt und nicht auf die freie Wiese gestellt, weil wir auf gar keinen Fall erweitern wollen“, sagt der Hausherr. Es ist außergewöhnlich, auf diesem Hof beschwert man sich nicht einmal übers Steuerzahlen: „Der größte Feind eines kleinen Betriebes ist die Steuerlogik. Wenn’s gut läuft, soll man investieren, damit man weniger Steuern zahlt. Es ist doch kein Verbrechen, dem Finanzamt Geld zu geben!“
Dani Wintereder fasst das Erfolgsrezept so zusammen: Fachliche Qualifikation in einer tollen Kombination (sie: Zuchtexpertin, er: Fleischermeister), die gemeinsame Leidenschaft für eine Sache, Mut zum Risiko, den Vorteil des Quereinstiegs, also keinen Hof übernehmen zu müssen, keinen familiären Traditionen verhaftet zu sein, keine alten Denkmuster mitzuschleppen. Und eine gehörige Portion Glück. Und dass Manfred Buchinger vom Gasthaus zur Alten Schule in Riedenthal einer der ersten Überzeugten war, hat sicher auch nicht geschadet.

Fazit
Die BOA-Farm ist ein schönes Beispiel dafür, wie Rindfleischproduktion optimal ablaufen kann: Extensive Weidehaltung, bei der das Rind nicht in Nahrungskonkurrenz zum Menschen steht, sondern idealtypisch als Veredler von für den Menschen Unverdaulichem fungiert. Tiergerechte Lebensbedingungen. Stressärmstes Schlachten. Hervorragende Fleischqualität. Und eine Betreiberfamilie, die herausragende Leidenschaft und eine sympathische Portion Kompromisslosigkeit einbringt. Mehr solcher Betriebe, bitte!

Literatur
Statistik Austria: Versorgungsbilanzen 2011. www.statistik.at/web_de/statistiken/land_und_forstwirtschaft/preise_bilanzen/versorgungsbilanzen/index.html#index2 (Zugriff am 27.5.2013)
Statistik Austria: Agrarstrukturerhebung 2010. Zugriff auf die Daten via statcube.at (27.5.2013)
BMG: Bundestierschutzpreis 2012. http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Tiergesundheit/Tierschutz/Bundestierschutzpreis/ (Zugriff am 27.5.2013)

 

prost, opa! – ein essensbiographischer nachruf

prost, opa! – ein essensbiographischer nachruf


dieser blogeintrag ist in memoriam meines großvaters, der heute seinen 102. geburtstag feiern würde. er ist vorigen mai gestorben.

kurz danach war ich bei einem symposium zum thema selbst- und fremdbestimmung des essens (übrigens vom selben veranstalter wir das heurige symposium zum wert von lebensmitteln, siehe eintrag vom 6. juni). während ich lauschend und denkend im auditorium saß, ist mir aufgefallen, dass mein großvater und seine essbiografie fremd- und selbstbestimmung des essens sehr schön widerspiegeln.

essens- und kochmäßig hat mich ja die oma stark geprägt, die ihr ja mittlerweile vom foto schon recht gut kennt. die lebensfreude habe ich eindeutig vom opa gelernt! er war ein ganz wichtiger mensch für mich. meine eltern waren zu meiner vorkindergartenzeit beide berufstätig, die oma war zu hause, und der opa und ich waren auf achse. stundenlang. im selbstgebastelten ziehwagerl oder im geliebten zwoaradla saß ich, der opa schob oder zog. immer wieder landeten wir im wirtshaus. oder beim karteln bei herrn s. „nur mehr ein bummerl!“ ist seither mein inbegriff für ewigkeit! dazu gab’s bei herrn s. zähe soletti und einen stinkenden pudel. ok, das gehört nicht zu den highlights. dagegen schon: von der lokalen bäckerei (heute zu haubi’s großgeworden) die alten briochestriezel holen, um sie an die enten und puten am haubenberger-teich zu verfüttern. und auf der fahrt dorthin alle rosinen herauspicken und selber essen.

aber ich wollte ja eine essbiografie schreiben! der großvater wurde 1911 als ältester von vier buben in einem dorf im niederösterreichischen mostviertel geboren. kindheit, jugend und frühes erwachsenenalter waren geprägt vom mangel. viele seiner lausbubenstreiche, die er uns als kinder immer und immer wieder erzählen musste, handeln vom lebensmitteldiebstahl: kirschen hier, äpfel dort, wenn man erwischt wurde, gab’s schläge und scheitlknien. butter oder gar fleisch hingegen gab’s nur zu feiertagen. mit ungefähr 14 gaben ihn seine eltern als knecht zu einem bauern. jeder hungrige magen weniger zu hause war eine erleichterung. nur zum wochenende durfte er heim. bei diesem und allen folgenden bauern gab es einfaches essen: viele erdäpfel, viele bohnen, brot, viel gemüse, obst, wenn’s reif war. diese einfache, regionale, saisonale ernährung sollte der opa sein ganzes leben lang beibehalten. nur mit einem konnte man ihn bis zum schluss jagen: most. weil most standardgetränk bei den bauern war – das brunnenwasser war oft nicht sauber genug – und immer hantig, oft essig und häufig schimmlig. seine ernährung war also weitgehend fremdbestimmt, nicht so sein leben: wenn man mit ihm in sein heimatdorf fuhr, behauptete er bei jedem bauernhaus im umkreis von zehn kilometern, fensterln gewesen zu sein …

28 war der großvater, als der zweite weltkrieg begann. aus der zeit weiß ich verhältnismäßig wenig, seine erzählungen waren nie chronologisch, mitunter so spektakulär, dass wir uns fragen mussten, ob sie überhaupt wahr sein könnten, und immer überdeckt von der dicken haut, die er sich wachsen hatte lassen, um vor allem seelisch zu überleben. dass die kriegsjahre mangeljahre waren, dass die ernährung ganz besonders fremdbestimmt war, daran ist aber kein zweifel. die wärmsten worte fand der opa immer für jene bauern, die ihn auf der reise nach hause nach der gefangenschaft in ihre stuben baten und aufpäppelten. bis zu seinem tod erwähnte er immer und immer wieder, was da für feine menschen darunter gewesen wären.

nach dem krieg wurde geheiratet und eine familie gegründet. der großvater, stets arbeitsam und ein tausendsassa, wurde teil des wirtschaftsaufschwungs der nachkriegszeit: man konnte sich ein feines, angenehmes leben leisten. essen wurde – zumindest finanziell – selbstbestimmt. interessanterweise schlug sich das aber kaum in der ernährung nieder. möglicherweise ist es meine subjektive kindliche erinnerung, aber bis auf die obligatorische braunschweiger, die der opa oft zur abendjause aß, gab’s fleisch und wurst im haushalt meiner großeltern weiterhin relativ selten. die oma hatte ein hausgartl und kochte, was darin reif war: kochsalat mit erbsen, eingebrannten kohlrabi, dillsoße mit semmelknödel, … das waren als kind meine lieblingsspeisen! linsen, erbsen, bohnen gab’s auch oft (linsen mit semmelknödel war meine überhaupt-lieblingsspeise!).

interessant finde ich auch, wie der großvater gegessen hat. ich glaube, behaupten zu können, dass er niemals in seinem leben hinterfragt hat, warum er etwas aß. er aß alles, war nie heikel, hatte wohl seine lieblings- und nicht-so-lieblingsspeisen. aber gegessen wurde, was auf den tisch kam. und er konnte genießen, oh ja! mit größtem vergnügen verspeiste er zu festtagen ein bratl, und da die schwartln aller drei enkelkinder zusätzlich zu seinen eigenen, und hinten nach eine gallige cremetorte. mit unhinterfragter selbstverständlichkeit verweigerte er dann am abend das nachtmahl, aß nur ein paar “zweschpm” oder eine „bamarantsche“, weil “i hob do koan hunga noch dem mittagessn!”. er liebte den alkoholgenuss, ohne jemals gefahr gelaufen zu sein, zum alkoholiker zu werden. sein lieblingsgetränk war roter (sic!) spritzer. auch das eine form der selbstbestimmung, finde ich. wer trinkt schon roten spritzer? der großvater verstand es, zu feiern! jede gesellschaft konnte sich glücklich schätzen, ihn zu gast zu haben. er scherzte und tanzte und witzelte und unterhielt stets die ganze runde. entsprechend oft wurde er eingeladen. bis zu seinem zirka 90er war es keine seltenheit, dass er spätnachts mit einem ordentlichen „duliöh“ heimkam. er hätte doch nur „kindermüchgaugau“ getrunken, erklärte er uns einmal, als wir ihm beim ins-bett-gehen helfen mussten (die motorik war dann doch nicht mehr die eines 30-jährigen). und auch diese form der maßlosigkeit kompensierte er immer: tags darauf wurde gearbeitet oder – im höheren alter dann – geruht.

apropos 30-jähriger. der hausarzt bescheinigte ihm bis weit über 90 blutwerte eines jungspunds. tatsächlich war sein cholesterinspiegel sensationell, er hatte nie „zucker“, und übergewichtig wurde er erst in seinen letzten lebensjahren ein bisschen, als er nicht mehr radfahren und den ganzen tag auf achse sein oder in seiner werkstatt herumbasteln konnte. es war ihm gar nicht recht, dass er auf seine alten tage noch „wampert“ wurde! denn eitel, oh ja, das war er! legte großen wert auf schöne kleidung (ich bin mehrmals mit ihm anzug einkaufen gefahren. das durfte nur ich!), und sein gescheiteltes weißhaar musste zu besonderen anlässen mit haarspray fixiert werden. „pfugazen“ nannte er das sprühen, und eine dose haarspray musste stets auf seinem allibert bereitstehen, andernfalls er flugs jemanden einkaufen schickte.

gegen ende seines lebens war nahrungsverweigerung sein letztes mittel der selbstbestimmung. ich erinnere mich, wie ich – frisch zurück aus mosambik, den sterbenden großvater vor mir und selbst noch komplett neben mir – bei ihm im bett gesessen bin und ihm pfirsichkompott gefüttert habe. das hat er gegessen! sonst hat ihn über die letzen wochen seines lebens hauptsächlich eine spezialnahrung, eigentlich sondennahrung, gerettet. allerdings nicht über eine sonde, sondern in seinem riesen-lieblingshäfen, in dem er sich zuvor immer frühstückssemmel, -briochekipferl oder kuchenreste in den milchkaffee „eingebrockt“ und ausgelöffelt hatte. sondennahrung ist bilanzierte diät, das heißt sie ist nährstoffangereichert. so sehr, dass sie als einzige nahrung ausreichen könnte. es gibt sie unter anderem in der geschmacksrichtung kakao, leider nicht in milchkaffee. aber kakao war für den großvater auch ok. so ernährte er sich also wochenlang fast ausschließlich von briochestriezel, in sondennahrungskakao eingebrockt und ausgelöffelt. gelöffelt freilich längst nicht mehr von ihm selbst, sondern von der mutter, den damen von der caritas oder eben auch von mir. alles andere verweigerte er immer öfter. mit einer ausnahme: zwei monate vor seinem tod, er war da schon bettlägrig und es ging ihm gerade sehr schlecht, kam ich nach hause, auf das schlimmste gefasst. wir standen abends um sein bett und plauderten, plötzlich verlangte er nach tee. mit folgendem nachsatz: “owa an g’scheitn!” diesen wunsch erfüllte ich ihm gerne! was sollte schon sein? der rum hätte sich nicht mit den schmerzmitteln vertragen können. ja, und? wenn mein sterbender opa tee mit rum will, dann soll er tee mit rum kriegen! fand ich. fand die ganze familie. finde ich auch heute noch. und nix hat er ihm getan! im gegenteil! er hat zwei häferl quasi ex via strohhalm genommen und dann richtig gut geschlafen.

gestorben ist er am pfingstwochenende, als die ganze familie zu hause war. man kann davon halten, was man will,  ich glaube, dass auch der zeitpunkt seines todes ein bisschen selbstbestimmt war. dem opa war es immer die größte freude, alle um sich zu haben. gegen ende hin kam dazu die angst, allein zu sein. am samstag waren wir noch feiern, den geburtstag einer tante. angesichts seines lebenswandels hielten wir es nicht für pietätlos, zu feiern, während sich sein leben dem ende zuneigte. am abend verabschiedeten wir uns von ihm, vor dem schlafengehen flüsterte jede/-r von uns ihm seine/ihre abschiedsworte ins ohr. in der morgendämmerung, in der er so oft erst vom fortgehen nach hause gekommen war, schlief er dann zum letzten mal ein …

dass ich ihn dann noch rasierte, wir ihm seinen lieblingsanzug, krawatte und die tanzschuhe anzogen, und natürlich die haare mit spray pfugazten, das war unsere letzte verbeugung vor seiner selbstbestimmten eitelkeit.

danach verbeugten sich übrigens noch ganz viele leute mehr. die kunde von seinem tod verbreitete sich in windeseile. und frühmorgens standen schon die ersten kondolenzbesucher vor der tür. als sie den herausgeputzen leichnam des großvaters sahen, waren sie bewegt von dem, was er immer noch ausstrahlte: ruhe, kraft, würde, zufriedenheit, ja, sogar fröhlichkeit. es fällt mir schwer, es in worte zu fassen, aber es war ein schöner anblick. in rücksprache mit dem bestatter beschlossen wir, den großvater bis am abend zu hause zu behalten. in seinem wohnzimmer. auf dass, wer sich verabschieden kommen wollte, die gelegenheit dazu hätte. es kamen viele leute. und es war jedes mal dasselbe: tief bewegt gingen sie wieder. der tag, an dem der opa starb, war einer der bewegendsten meines lebens. es war sein tag, es ging um nichts als um ihn. ähnlich wie an seinem 100. geburtstag, aber ruhiger, trauriger, endgültig.

prost, opa! du fehlst mir!

großvater

fleisch ist mein fleisch!

fleisch ist mein fleisch!


nachdem er’s im märz dann sogar bis in die zeit geschafft hat, haben wir’s ende mai endlich zu ihm nach großmugl geschafft: zum schillinger in sein wirtshaus, in dem er vegane hausmannskost serviert.

nach lektüre der speisekarte war schnell klar, was wir essen würden: die hausplatte mit fünferlei verschiedenen fleisch- und wurschtigkeiten. unsere erwartungshaltung war hoch, hatte uns doch jemand – zugegeben, nicht der größte gourmet unter der sonne – erzählt, dass man fast keinen unterschied zu echtem fleisch merke. wir haben also die verputzt (umfang siehe foto 1), dazu noch eine portion backhendlsalat, einmal wildragout, und danach noch einen burger (wir waren zu viert!). mehr hatte leider nicht platz, die neugierde wäre noch hungrig gewesen.

mein resümee: gemüse ist mein gemüse, und fleisch ist mein fleisch! das war vorher so, und das das bleibt weiterhin so.
ich liebe veganes essen: in olivenöl geschmorte melanzani, tabbouleh, hummus, curries, und und und. immer wieder passiert es mir, dass ich beim kochen draufkomme, dass ich grad was definitionsgemäß veganes koche – ohne dass ich mir das vorgenommen hätte.
und genauso liebe ich fleisch. roh, gebraten, geschmort, gebacken, das innere wie das äußere.
ich verstehe die vorteile von “sojafleisch”. und wer es als mittel zum zweck nutzt, seinen/ihren fleischkonsum zu drosseln, genießt meinen vollen respekt. für mich ist es nicht die lösung. weder geschmacklich noch aus dem aspekt der nachhaltigkeit. “Die Grundprodukte für die Imitationsküche werden aus Taiwan importiert. […] Bei der aufwendigen Produktion wird dabei Sojaeiweiß eingekocht und durch riesige Vakuumextruder gejagt, danach wird der daraus entstandene Brei zu fleischartigen Stücken geformt und schockgefroren”, steht im zeit-artikel. wäre interessant, die ökobilanz ausrechnen zu lassen und beispielsweise mit den rindern von der boa-farm von dani wintereder und fred zehenter (ja, da kommt auch bald noch mehr dazu!) zu vergleichen, die ihr ganzes leben nur gras fressen, roh, als heu oder siliert, das der mensch sowieso nicht verwerten kann.

gut statt viel, das ist meine lösung. wieder einmal. wie immer eigentlich.

 

“wann wird es wieder so schön, wie es früher nie war?”

“wann wird es wieder so schön, wie es früher nie war?”


meiner lieben freundin marlies, wissenschaftliche leiterin des forum. ernährung heute und weggefährtin seit unserem dritten semester ernährungswissenschaften, ist es zu verdanken, dass eben diese institution immer wieder über den tellerrand der “klassischen” ernährungswissenschaft hinausblickt. (für ihr magazin war ich bei den labonca-freilandschweinderln und kürzlich bei den galloway-rindern auf der boa-farm.)
das jährlich stattfindende symposium trug heuer den titel “markt. wert. wahrnehmung. was ist essen wert?” es fand gestern (5.6.2013) statt. und es war eine der besten, wenn nicht überhaupt die beste fachtagung, auf der ich jemals war.
der bogen spannte sich von der ökonomischen defintion, was “wert” ist, über preispolitik von lebensmitteln, den wert der biologischen sortenvielfalt, der geringschätzung von lebensmitteln, abgelesen an den mengen, die davon im müll landen – oder im günstigeren fall der gemeinnützigkeit zugeführt werden (z.b. der wiener tafel). dann ging’s noch um historische und sozio-kulturelle aspekte des wertes und der wertschätzung von lebensmitteln und um die werbung und ihre beeinflussung unseres werteempfindens von lebensmitteln.

ich habe gelernt (chronologisch), …
… wie der höhere preis für bessere qualität erklärbar ist und dass er nicht nur daher rührt, dass unternehmen und/oder handel das qualitätsbewusstsein einer gewissen kundenschicht mit höheren gewinnspannen ausnutzen.
… dass in zeiten der donaumonarchie der binnenmarkt 51 millionen menschen groß war und die struktur der österreichischen lebensmittelverarbeitenden betriebe auf diese zeit zurückzuführen ist.
… dass nach den beiden weltkriegen der markt plötzlich extrem geschrumpft ist und mit dem eu-beitritt 45 prozent der österreichischen lebensmittelverarbeiter eingegangen sind.
… dass österreichische lebensmittelverarbeiter im eu-vergleich zwerge sind, in der regel familienunternehmen und ganz schön ums überleben kämpfen.
… dass es mais, also kukurutz, als kulturpflanze nur gibt, weil im richtigen moment menschen zur stelle waren. kukurutz war eine spontanmutation, und hätten nicht menschen ihn kultiviert, hätte er sich niemals verbreitet.
… dass die am häufigsten weggeschmissenen lebensmittel gewürze sind, die für ein bestimmtes gericht/gebäck gekauft und dann nie wieder gebraucht werden.
… dass man vorträge halten kann, bei denen sich die zuhörer eine stunde lang keine sekunde langweilen, sich laufend vor lachen schütteln und mehr mitnehmen als aus fünf anderen vorträgen zusammen.
… dass mc donalds 1991 diesen werbespot geschaltet hat, der damals eine totale überstreckung war. heute ist dieses idyllisieren normalzustand.
… dass es in der lebensmittelbranche leute (zumindest einen menschen = der welt-vortragende) gibt, die der meinung sind, die branche hätte ein kommunikationsproblem und man solle den konsumentInnen endlich die wahrheit sagen!
… dass er das damit begründen, dass “pressure groups” wie foodwatch, peta etc. “nur” den ist-zustand zeigen müssen, um die konsumentInnen “skandal!!!” schreien zu lassen.
… dass den konsumentInnen vor lauter idyllisierungen die realität fast nicht mehr vermittelbar ist.
… dass ein auto – dem in der lebensmittelwerbung verbreiteten “früher-war-alles-besser!”-paradigma folgend – wie folgt beworben werden müsste: “jetzt wieder mit seilzugbremsen!”
… dass man mülltauchend, also das essend, was vor allem supermärkte wegschmeißen, ohne festen wohnsitz und überhaupt konsum weitestgehend vermeidend (100 euro pro monat) so leben kann, dass man es selbst als luxus bezeichnet, möglichst wenig am herrschenden produktions- und verteilungssystem teilzuhaben.
… dass geschmack beim essen schwerer wandelbar ist als kunstgeschmack.
… dass dieser geschmackskonservismus umso stärker ist, je statusträchtiger ein lebensmittel ist. und dass das der grund ist, warum die leute fast nicht dazu zu bewegen sind, weniger fleisch zu essen.

(das zitat aus der überschrift stammt übrigens aus dem vortrag von ulrich nöhle von der tu braunschweig, dem sensationellen vortragenden, der uns unmittelbar nach dem mittagessen eine ganze stunde lang nicht in den verdauungschlaf fallen ließ.)

danke für einen herrlich spannenden tag, an dessen ende mir das hirn geraucht und das herz gebrannt hat!

bei siebeck in der zeit

bei siebeck in der zeit


ist zwar schon ein zeitl aus, aber im zuge der homepage-neubastelung bin ich wieder drauf gestoßen: wolfram siebeck hat unser oma-kochbuch aufgegriffen! besonders freundlich ja nicht. “Die Besser-Esser. Wolfram Siebeck über Kochbücher, die nicht weniger als die Welt retten wollen”, geht das gepolter schon im titel los. später dann: “[…] wirklich beeindruckend ist der Haufen von gebundenen Ratschlägen wie Schlank ohne Diät, Nie wieder XXL, Stressfood, Das Kloster-Kochbuch, Omas Bio-Küche, Scheidungskinder verraten ihre Lieblingsrezepte und Ähnlichem, hinter denen man nicht zu Unrecht Ahnungslosigkeit, Obskurantismus und mangelndes Sprachtalent vermuten darf, […]”

jetzt mag man über omas bio-küche aus verschiedenen gründen geteilter meinung sein. (ich finde selbst ja das cover … ich sag’ nur i-stock-foto … und ein österreichisch vegetarisch ist es auch nicht, weil ja großmütterliche alltags- und keine kochmeisterrezepte, und weil mini-budget und deshalb family&friends-teilweise-amateur-gemeinschaftsproduktion.) “mangelndes sprachtalent”, das darf herr siebeck natürlich subjektiv so empfinden. so subjektiv, wie ich finde, dass seine kolumne ziemlich schlecht geschrieben ist. ich glaube allerdings, dass er die bücher gar nicht gelesen hat. aber egal, kommen wir zum letzten urteil: “ahnungslosigkeit und obskurantismus”. das kränkt mich überhaupt nicht. weil von dem weiß ich, dass es für unser buch schlichtweg falsch ist.

wer jetzt neugierig geworden ist und das buch noch nicht kennt: es ist vergriffen und wird nicht neu aufgelegt. leider!

haben wir alles falsch gemacht?

haben wir alles falsch gemacht?


kürzlich bat mich ein freund, gut-, nachhaltig-, gerne- und low-carb-esser, um meine meinung zu obiger publikation (volltext). das ist sie:

lieber …,
das paper, das du mir geschickt hast, hat für mich (und wohl auch für dich) kaum neuigkeitswert: man kann der wissenschaft oft auch nicht trauen, weil sie selektiv (und interessengeleitet) forscht und argumentiert, fett ist besser als die ernährungswissenschaft das lange dargestellt hat, lebensmittel auf einen nährstoff herunterzubrechen wird niemals dem mehr-als-die-summe-der-teile-prinzip gerecht und es gibt keine guten und schlechten lebensmittel, man kann aber jedes in gutem oder schlechtem licht betrachten.
die autorInnen kommen klar aus der pro-fett-und-fleisch-fraktion. leider haben sie sich für mich ins out geschossen, als sie begonnen haben, pflanzen(-öl)-bashing zu betreiben. und auch der hinweis, makrele hätte die doppelte menge an kalorien und gesättigtem fett wie schwein, ist mir zu plump.
fazit: ich gebe ihnen inhaltlich über weite strecken recht, es wäre aber fein gewesen, die argumentation nicht so plump pro-fleisch zu fahren. abgesehen davon fehlen aspekte wie produktionsbedingungen vollkommen. und jener, dass high meat sich weltweit einfach nicht ausgeht und wir lieber vom recht auf fleisch weg- denn darauf zusteuern sollten.
liebe grüße,
theres

lieblingsessen-empirie (nachtrag …


… zum geschmacksalon)

ich fange jeden kinderworkshop mit folgenden drei fragen an (ja, auch aus forschendem interesse, klar!)
1. wie heißt du?
2. was isst du am liebsten?
3. was ist dein lieblingsgetränk?

folgende nennungen kamen am sonntag (n = 25, nicht alle haben alle fragen beantwortet):
[1. tut hier nichts zur sache]
2. “kann ich nicht sagen, ich ess’ so vieles gerne” (5), palatschinken (2), grießnockerlsuppe (1), paradeissuppe (sic!) (1), pommes (1), pizza (1), spaghetti (1), schnitzel (1)
3. apfelsaft (10), nicht näher bezeichnete fruchtsäfte (5), orangensaft (2), wasser (1), cola (1, ich schwöre!), andere limonaden (0, ich schwöre noch einmal!)

ich find’ das sehr interessant …

warum michael pollan mein feind sein müsste, es aber nicht sein kann


michael pollan ist endlich bei mir eingezogen. und benimmt sich ganz schön anmaßend. “ich stellte fest, dass die [ernährungs-]wissenschaft in wirklichkeit sehr viel weniger über ernährung weiß, […]” und noch vieles böse mehr sagt er über mich und meine profession.* dabei ist der nur ein journalist, ich bin die ernährungswissenschaftlerin!
aber fühle ich mich jetzt in meiner professionalität gekränkt? kann ich gar nicht! michael pollan spricht mir aus dem herzen, aus der seele, sogar aus dem hirn und vor allem aus dem bauch. er hat einfach recht!

lest das!
food rules – an eater’s manual, zu deutsch: 64 grundregeln essen: essen sie nichts, was ihre großmutter nicht als essen erkannt hätte (btw: bitte dem link folgen, dann aber woanders bestellen, z.b. bei anna jeller!)
in defense of food – an eater’s manifesto, zu deutsch: lebensmittel – eine verteidigung gegen industrielle nahrung und den diätenwahn (btw: siehe oben!)

* aus dem vorwort der 64 grundregeln: “Aber trotz all des wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Ernährungsgepäcks, das wir uns […] aufgeladen haben, wissen wir immer noch nicht, was wir essen sollen.” oder “Ich stellte fest, dass die Wissenschaft in Wirklichkeit sehr viel weniger über Ernährung weiß, als Sie möglicherweise erwarten – dass die Ernährungswissenschaft eigentlich eine, um es einmal freundlich zu sagen, sehr junge Wissenschaft ist.”